Drei Geschichten

 und doch irgendwie nur eine.... Irgendwie... Ein und die Selbe ...

 

 

von Colin-Aleksander Vaupel

 

 

 

 

           

 

 

 

 

 

  

Die erste Geschichte

 

Da ist die Geschichte von einem Haus in Berlin, aus der Zeit, als es West- und Ostberlin noch gab. 

Die Geschichte von einem Haus in Westberlin das ganz dicht an der Mauer stand, als es die Mauer noch gab, die Geschichte von einem Haus ganz dicht an Ulbrichts Mauer. 

Die Geschichte von einem Haus in Westberlin das ganz dicht an der Mauer steht und dessen Dachgeschoß von einem ehemaliger Soldaten der DDR bewohnt wird. 

Eine Geschichte, die sich tatsächlich so zugetragen haben soll, damals 1965. 

Dieser junge Mann ist irgendwann, irgendwie nach Westberlin geflohen. Seine Freundin, die in jener Zeit 5o Meter Luftlinie entfernt, fast gegenüber wohnte, hat man zurückgehalten. 

Sie war drei lange Jahre im Gefängnis und wohnte dann eben nur verdammte 5o Meter von ihrem Peter entfernt - er hätte in ihr Fenster schauen können, wenn man es nicht zugemauert hätte, damals, nachdem sie gesprungen war. Nachdem sie gesprungen war und bevor sie später aus Verzweiflung drogensüchtig wurde. 

Ja, da ist dieses Haus in Westberlin - dicht an der Mauer. Und da ist das Dachgeschoß und dort ist ein Fenster; und dieses Fenster ist jeden Abend geöffnet.  

Und in diesem Fenster steht noch heute, viele Jahre danach, ein Lautsprecher, der Lautsprecher einer Stereoanlage. Und jeden Abend ertönt aus ihm die gleiche traurige Melodie.

                                     

ANGELIKA - ANGELIKA

KANNST DU MICH HÖR'N

ES IST SO EINSAM HIER

UND DU FEHLST MIR SO

ES IST SO EINSAM HIER OHNE DICH

                                    

ICH WILL ZU DIR

DU FEHLST MIR                           

FEHLST MIR SOOOO...


 

 

Eine zweite Geschichte...

 

Die Geschichte von einer Liebe, die noch viele Jahre hätte andauern können... einer Liebe zweier Menschen, die sich in ihren Kindern hätte fortpflanzen können. Aber so weit ließ es da Leben erst gar nicht kommen.

Nein... so weit ließ es das Leben nicht kommen, denn es ist auch die Geschichte einer jungen Frau, die viel zu früh mit den bösen Giften unserer Zivilisation in Konflikt geraten ist; die Geschichte einer jungen Frau, die viel zu spät bemerkte, daß es zu spät ist. Daß es kein zurück mehr gibt.

Und schließlich ist es die  Geschichte von einem Mann, der eine Frau liebte; und der an dieser Liebe zerbrochen ist. Zerbrochen weil er ihr nicht helfen konnte... Dieser Mann hat alles versucht um sie davon abzubringen:

Er hat sie eingesperrt, geschlagen, gestreichelt, hat sie während ihres Entzuges mit seinem Körper gewärmt, nur gewärmt, er hat gestohlen für sie, hat sich mit Dealern herum geprügelt, als er ein letztes mal Stoff für sie besorgen wollte, er ist sogar ins Gefängnis für sie gegangen. Aber da konnte er nicht mehr auf sie aufpassen...

 Sie nutzte ihre "Chance", jedoch die letzte Nadel war schmutzig...

Heute am 24. Dezember 1991 können sich beide nicht einmal sehen... Er sitzt im Knast. Sie liegt im Krankenhaus.

Er sitzt wegen Drogenvergehen im Knast. Sie liegt mit AIDS in der Klinik... Er wird in sechs Monaten raus kommen. Sie auch. In einem feinen schwarzen Mercedes wird man sie zu ihrem neuen Zuhause chauffieren...

  

ANGELIKA - ANGELIKA

KANNST DU MICH HÖR'N

ES IST SO EINSAM HIER

UND DU FEHLST MIR SO

ES IST SO EINSAM HIER OHNE DICH

 

ICH WILL ZU DIR

DU FEHLST MIR

FEHLST MIR SOOOO..

 

Die dritte Geschichte.

Nun... da war dann noch die Geschichte, die Geschichte von dem einsamen alten Herren, der jeden Morgen um 5.oo Uhr aufsteht und seinen besten Anzug anzieht.

Er zieht seinen besten  - einen alten zerschlissenen grauen - Anzug an, geht dann in die Küche und kocht eine Kanne Malzkaffee, holt die Brötchen, die der Bäckerjunge vor die Tür gelegt hat.

Diese Brötchen wird er mit guter Butter beschmieren, sie mit Wurst und Käse belegen.

Dann wird der einsame alte Mann denn Kaffee in eine Thermoskanne gießen. Diese  wird er  sorgfältig mit einem Lappen abwischen und sie zu den in Pergamentpapier gewickelten Brötchen in seine alte, abgegriffene Aktentasche packen. 

Er wird seinen alten grauen Mantel anziehen, in dem er ein bißchen verloren aussieht, weil er ihm etwas zu groß geworden ist, er wird seinen grauen sorgfältig abgebürsteten Hut aufsetzen und das Haus verlassen. Nicht ohne die Haustüre sorgfältig zu verschließen.

Dann wird er, auch das tut er seit vielen Jahren jeden Morgen zur gleichen Zeit, dann wird er, es wird 5.17 Uhr sein, dann wird er in seinem Garten noch eine dunkelrote Rose behutsam abschneiden und sein Grundstück verlassen. Pünktlich um 5.29 Uhr wird der einsame alte Mann am Grab seiner Frau sitzen.

 Zwei Becher mit dampfendem Malzkaffee und ein Teller mit den belegten Brötchen werden auf dem bescheidenen grauen Grabstein stehen; daneben ein kleiner Kassettenrecorder.

Aus ihm wird eine Stunde lang die gleiche, traurige Melodie erklingen...

                                     

ANGELIKA - ANGELIKA

KANNST DU MICH HÖR'N

ES IST SO EINSAM HIER                                

UND DU FEHLST MIR SO

ES IST SO EINSAM HIER OHNE DICH

ICH WILL ZU DIR

DU FEHLST MIR

FEHLST MIR SOOOO...