Brief an Chris

von Colin Vaupel

Hallo Du,

all das was hier geschrieben stehen wird, ist frei erfunden - erwähnte Personen sind nur in meinem Kopf erdacht und bestehende Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen rein zufällig.

Als Leserin wird Dir im Verlauf des Lesens sowieso klar werden, daß Handlungen und Personen in Wirklichkeit auch überhaupt nicht existent sein könnten.

Also - nachdem ich mich nun rein rechtlich abgesichert habe und somit weiß, daß alles was ich zum Ausdruck, vielleicht auch mal zum Abdruck bringen, bzw. freigeben werde - nicht gegen mich verwandt werden kann, will ich nun doch endlich mit dem Anfang beginnen.

Das heißt - eigentlich tut so etwas ja jeder: mit dem Anfang beginnen - und dabei handelt der Inhalt von Personen und Taten, die halt doch gewissermaßen einmalig sind, einmalig, und nicht wie viele andere. Also kann ich eigentlich auch nicht mit dem Anfang beginnen, schließlich bin ich ja auch nicht wie alle anderen .- Nun gut, dann also irgendwo mitten drin.

Und wenn ich nun also mitten drin anfange, werde ich dann sicherlich teilweise vor, zurück, rechts, links, rauf, runter, manchmal auch tiefer, tiefer, oh ja, manchmal werde ich auch ganz schön tiefer gehen. "Wie oder wo tief?" fragst Du. Sehr interessant, kaum habe ich begonnen, hast Du aus dem vielseitigen Angebot auch schon etwas heraus gesaugt:

 "Wie oder wo tief." Ich erkenne schon, ich muß Dich gleich jetzt mitten drin zu Beginn meines Briefes an Dich auf etwas aufmerksam machen: Ich habe nicht vor, eine pornographische Abhandlung zu schreiben. Auch wenn ich - über uns nachdenkend - genügend Material zusammenbrächte.

 

Ja. Nun gut. Wie schreibt man nun eine Abhandlung aus der vielleicht einmal eine Geschichte werden könnte, die das wiederum das Leben geschrieben haben könnte. Wo und wann soll sie spielen? Wäre ich Ganghofer, dann hätte ich eine Dame namens Resi und die Berge. So aber habe ich Dich und ... Halt!

 Ich habe etwas gefunden das sich ganz gut als Anfang aus der Mitte heraus anhören könnte:

 

Es war einmal. Quatsch! Genauer gesagt: es war gestern am späten Nachmittag - so gegen 16.oo Uhr 59 Minuten, 25 Sekunden. Und es geschah an einem Waldrand. Um es noch klarer auszudrücken, es war auf einem Hochsitz, so einem Sitz, auf dem die Jäger ihre Nächte hoch sitzend verbringen.

 

Vielleicht weil sie Angst haben von einem Wilderer getroffen zu werden, bevor sie ein Reh oder Wildschein treffen.

 

 A R M E R   H I R S C H

EIN BÜRGER AUS LEUTKIRCH

DER GING AUF DIE PIRSCH

ER WOLLTE JAGEN

HASEN PLAGEN

ERSCHOß EINEN HIRSCH

DIE FRAU VON DEM HIRSCH

DIE WAR DANACH GANZ WIRSCH

NIE MEHR WIRD ER SIE BEGATTEN

UND DABEI HATTEN

DER HIRSCH UND SEINE FRAU

KLEINE HIRSCHE GEPLANT

                             

ARME SAU

DES HIRSCHEN FRAU

JETZT MUß SIE ES

MIT EINEM ANDER'N TREIBEN

SIE WILL JA NICHT EWIG

JUNGFRAU BLEIBEN

UND DIE MORAL VON DER GESCHICHT'

SIE SEI DIR PFLICHT

DIE MORAL VON DER GESCHICHT'

ERSCHIEß DEN MANN EINER HIRSCHIN NICHT

Hallo Du,

Du wirst sicher nicht böse sein, wenn ich sogleich auf dieser Seite mit meinem Brief fort fahre, ich sagte mit meinem Brief, nicht mit Deinem Auto, und auf eine Inhaltsangabe der letzten verzichte? Ja? Gut so!

Obwohl es sich nun um große Tannen und deren Kinder, also die kleinen Tannen handelte, waren sie doch alle grün. Jetzt glaube bitte nicht, ich würde sehr abschweifend werden; aber ich finde, Du solltest Dich erinnern, bzw. wissen, daß alle Tannen grün waren. So wie auch übrigens die umliegenden Wiesen grün waren wie auch der junge Weizen . Unterschiedlich grün, aber immerhin doch grün.  Na gut.

Nur das kleine Reh, und das ist ganz wichtig, nur das kleine Reh war nicht grün, höchstens noch hinter den Ohren, so wie ich übrigens auch noch ziemlich grün bin hinter den Ohren.

 

Also das kleine Rehlein war nicht grün; sonst hätten wir es ja auch gar nicht sehen können zwischen allen den grünen großen und kleinen Tannen.

Gut, Du hast recht, ich will ehrlich sein: Es gab da Ÿberhaupt gar kein Reh in diesem Wald, weder ein kleines noch ein großes Reh; aber bei Ganghofer wäre eins dagewesen. Bei Ganghofer wäre eins da und es wäre auch auch braun gewesen.

Also, mein Schatz, Du bist einverstanden, wenn wir einfach so tun als wäre ein kleines braunes Rehlein dagewesen? Ja? Gut. Danke. Das Reh war also da.

Nun ja,  als dieses reizvolle und zugleich liebenswerte Tierchen so am Fressen - die Jäger sagen dazu "Äsen" - also während dieses Rehlein Nahrung zu sich nahm, saßen wir, Du und ich, also wir beide, auf diesem Hochsitz.

Ich habe mich übrigens an zweiter Stelle genannt, nicht nur weil ich kein Esel sein will (Esel nennen sich ja immer  zuerst und außerdem ...

 und außerdem bin ich ja nach Chinesischem Sternzeichen ein Hund!); sondern ich habe mich viel mehr an zweiter Stelle genannt, weil Du ja, Du wirst Dich sicherlich noch daran erinnern, zuerst oben warst . Richtig geil warst Du ... auf den Hochsitz. Normaler Weise hätte ich Dir ja geholfen; aber Du konntest ja nicht warten bis ich mir die eine Tanne - weißt Du noch - es war die sechsund-achtzigste in der dreiundneunzigsten Reihe von links - ja, jedenfalls hast Du nicht gewartet, bis ich fertig war mit Beinchen heben. (Jeder Skorpion, äh Hund braucht halt hin und wieder mal sein Bäumchen.)

Schade eigentlich, daß Du nicht warten konntest, genau wie Jaroslava nicht warten konnte: als ich in's Schlafzimmer kam in unserer Hochzeitsnacht, hatte sie ihr Brautkleid auch schon ausgezogen. Schade eigentlich.

 Nun ja, zu guter Letzt saßen wir dann doch noch beide auf dem Bäumchen, äh Hochsitz. Was? Ach so ja, entschuldige, Du hast natürlich recht: den letzten Absatz hätte ich eigentlich etwas kürzer halten können, sollen. tut mir leid.

Ich hätte vielleicht lediglich schreiben sollen: "Wir saßen auf dem Hochsitz." Na ja, ich mag halt meinen Schreibstil und außerdem habe ich kürzlich, es war beim Sperrmüll, noch dieses alte Farbband gefunden, das darf ja nicht umkommen.

So, da saßen wir also lange Zeit nichtssagend, verzeih', nichts sagend auf unserem Hochsitz, der ja eigentlich nicht uns sondern einem Förster gehörte.

Viel haben wir nicht gesagt, aber gespürt haben wir uns. Du mich und ich Dich; also quasi wir uns beide. Es war fast so, wie es die Schlagerleute wie Chris Anders oder Christian Roberts oder Karel Gildo oder Rex Gott immer besingen. Ja, und dann hat es auf einmal geknallt. Zwei Schüsse waren es. Nein, das Reh war  immer noch am fressen, der Knall, die Knalle, oder heißt es Knallers? Na egal, sie kamen daher, weil uns das Blut in den Kopf geschossen war. Ich werde nie vergessen, wie ich auf einmal seekrank geworden bin, weil das Blut so in Wallungen geraten war. Ja und dann... ja und dann...?

 hm ...

 Dann haben wir erst mal eine Zigarette geraucht. Hm hat das gut getan: rauchen im Wald, nein am Waldrand, diese Mischung aus Zigarettenqualm und herrlich, göttlich frischer Wald- und Wiesenluft. Selbst das Rehlein hat ganz neidisch zu uns rüber eschnuppert.

Und dann kam auf einmal die Angst! Meine Angst. Fürchterlich. Nein, vor Dir hatte ich keine Angst, das wäre ja noch schöner: vor mir selber bekam ich auf einmal Angst.

Weißt Du das nicht mehr? Aber Schatzilein, ich hatte doch meine Zahnbürste vergessen, nicht dabei, und ich putze mir doch immer die Zähne vorher. Vor was? Na na na.

Nun, jedenfalls hast Du mich ganz schšn komisch angeschaut, wo lieb irgendwie, fast hätte ich befürchtet, Du wolltest einen Kuß von mir. Aber - da habe ich wieder mal gemerkt, daß ich ein ganz schön eingebildeter Fatzke sein kann.

 Immerhin: gebildet bin ich. Bitte? Wie meinst Du? Wieso kann? Ach so Du bist davon überzeugt, daß ich ein eingebildeter Fatzke bin. Nun gut. Du wirst schon sehen was Du davon hast.

Jedenfalls habe ich dann aber gemerkt, warum Du mich so angesehen hast: Dir waren die Zigaretten ausgegangen. Du hast dann sogar eine von meinen schwarzen ohne Filter geraucht. Das hat mich richtig glücklich gemacht. Du... wird Dir die Geschichte etwa schon langweilig? Wart halt noch a Bisserl. Das Beste kommt ja gleich. Es wird schon noch spannend. Wie im Fernsehen bei Dallas, ne stop: das gab es zu unserer Zeit noch gar nicht. Damals als wir noch jung und hübsch waren, Du bist übrigens immer noch hübsch, ich hab Dich vorgestern zufällig gesehen mit diesem blöden Ver-sicherungsfritzen.

Also gut, ich kürze es ein wenig ab.

Auf einmal warst Du richtig ängstlich. Du warst ängstlich und ich war wieder mal in meinen verdammt noch mal viel zu engen Jeans; scheiß Mode. Jedenfalls hast Du plötzlich auf mir drauf gehockt. Bist halt ein emanzipiertes Mädchen, sonst habe ich das ja immer getan, ach so, soweit sind wir ja noch nicht. Darf ich trotzdem mal kurz vorgreifen? Danke.

Also später habe ich ein paar Mal  auf Dir drauf liegen dürfen, richtig erketiv, nein  Verzeihung, ich wollte sagen: richtig irre war das! Nun ja, wo war ich stehen geblieben? -

 Richtig! ich stand nicht, ich saß; und zwar unter Dir..

Also, daß ich als ich anfing, als ich Dir gesagt habe, daß ich manchmal vor oder hinter mich greife in Bezug auf die Reihenfolge, in Bezug auf die Abfolge meines Berichtes an Dich, habe ich Dir ja schon mitgeteilt, ich glaube es war auf der ersten Seite. Wenn Du mal bitte nachschauen würdest. Stimmt's? Wußte ich's doch. Nachdem ich eben nun etwas vorgegriffen habe, schalte ich jetzt erst mal wieder den Rückwärtsgang ein.

 Vorhin im VW, hellblau stand er mitten im grünen Wald, puuuh... Du rechts von mir, ich links von Dir. Gott sei Dank war es Sommer (Fast wie bei Peter Maffay's "Und es war Sommer") Nur halt war es leider so, daß es nicht am Strand war, sondern eben im Wald zwischen all den grünen... Gut ich komme ja schon zum Punkt.

Wie gesagt: es war Sommer und ich hatte somit keine Handschuhe an, glaube ich. Nein ich hatte keine an. Das war Dir auch lieber so gelle? Vom Gefühl her und so. Kurz und gut: Du warst ganz schšn glücklich. Sag mal: hat denn Dein Mann überhaupt nicht gelernt wie man sein Frauchen glücklich machen kann, muß, auch ohne seinen dicken Schw...? Woher ich weiß, daß er einen Dicken hat? Weiß ich doch gar nicht, ist mir nur so raus gerutscht - geht mich ja auch gar nichts an.

 Ja ja, schön war es in Deinem kleinen blauen VW im Grünen Wald. - Auf dem Hochsitz gingen solche Eskapaden natürlich nicht mehr. Nicht weil ich Angst hatte, wir könnten runterfallen, nee, aber die Leute. Du weißt doch, wer hoch sitzt...nein, fällt nicht tief... ja auch, aber das meine ich nicht.

 Wer hoch sitzt, kann auch von weitem gesehen werden. Stell Dir mal vor, da ist noch ein Hochsitz und Dein Mann sitzt mit 'ner Freundin d'rauf - und die beiden sehen uns.

Sie würde sich ja sicherlich freuen, weil sie kein schlechtes Gewissen haben müßte. Aber er? Du meinst dann würden wir ja auch ihn sehen. Ihn wie er mit ihr und so?

Glaube ich nicht, schließlich hatten wir doch ständig die Augen geschlossen  vor lauter Verzückung. Beim Knutschen wenigstens und beim Spüren....

Na vielleicht hast Du recht. Vielleicht hat er ja auch gar nicht auf dem Hochsitz gegenüber gesessen. Vielleicht war ja auch zu Hause mit ihre in Eurem Schlafzimmer.

Schatz, gerade fällt mir der Biergarten ein: weißt Du, so ein Garten, wo die Leute immer Bier trinken, jedenfalls schön war's , fast wie bei meinem Chef zu Hause. Du erinnerst Dich, daß ich mal bei ihm gewohnt habe. Dein Auto, Du weißt schon, Dein himmelblauer Käfer, er war immer in der Garage versteckt. Da stand zwar noch 'ne alte Isetta, aber so war Dein Käfer, Dein himmelblaues Käferchen wenigstens nicht so einsam. Sah ja auch noch verdammt gut aus das alte Isettachen. Ja und da war dann noch mein Wohnklo. Wohnklo mit Matratzenbett, wie in einem alten Maffiafilm.

Oder weißt Du noch, wie alles angefangen hat?

 

Tischtennis-Turnier im Garten, Schwimmbad im Keller, Deine Gören, verzeih: Kinder, versteckte Blicke... Du... ich hab' Dich immer noch verdammt lieb; obwohl das jetzt schon wieder über fünf Jahre her ist... Wie die Zeit verfliegt.

Melde Dich doch mal wieder. Na ja, tust Du ja doch nicht. Hole ich halt die Fotos wieder raus, ne ne sonst hol ich nüscht raus... so was tut ein anständig erzogener Mensch doch nicht.  Wo ich die Fotos rausnehmen will? Aus meiner Brief-tasche...

 

War 'ne dufte Zeit mit Dir, ehrlich. Habe so etwas nie wieder erlebt. Bin übrigens immer noch allein. Werd's auch bleiben...is besser so.

 Ach ja, verzeih mein Abschweifen. Zurück zum Biergarten, Quatsch, zurück zum Hochsitz.

Schließlich sind wir irgendwann wieder runter von ihm. Ich zuerst. Nein! Nicht weil ich Dir unter den Rock gucken wollte. Bitte? Stimmt! Du hattest ja Hosen an. Blödsinn außerdem. Jedenfalls beim Runtergeh'n habe mir ganz schön die Knie gewackelt, wie als wenn ich Pudding in ihnen gehabt hätte. Hoffentlich war es Dr. Oetkers Schokoladenpudding, den mochte ich schon als Kind am liebsten.

Hm... mein Schatz.

 Danach habe ich Dich leider nie wieder "gespürt . Nur einmal gesehen in diesem Jetset-Café

Mit diesem Versicherungsfritzen. Beschissen hast Du ausgesehen. Reden mit Dir? Unmöglich! Erstens war es viel zu laut in diesem Saftladen und zweitens... na is ja auch egal.

Reden war unmöglich, Gefühl  auch. Du warst tot, ich war tot, wir waren beide tot, unsere Verliebtheit war auch tot ... es hat uns nie gegeben.

So, damit Du nun nicht so weit zurückblättern mußt, im folgenden noch einmal das, was auf der ersten Seite steht:

Es hatte uns nie gegeben oder: es hätte uns nie geben dürfen, denn Dein Mann war mein Freund. Entschuldige Alf.

 

Illusion ?

Wirklichkeit ?

Einbildung ?

Halluzination ?

oder doch gescheh'n ?

wenn ja - warum ?

 und wenn "ja" - warum geht's nicht weiter

liegt's an mir

an dir

am LIEBEN GOTT ?

oder ist es gut

gut, daß es nicht weitergeht ?

 

 Colin Vaupel als er etwa 38 war.

P.S.: Diesen Brief habe ich Chris ürigens nie geschickt. Schade eigentlich - oder?