Brief an Chris
von Colin Vaupel
Hallo Du,
all das was hier geschrieben stehen wird, ist frei
erfunden - erwähnte Personen sind nur in meinem Kopf erdacht und bestehende
Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen rein zufällig.
Als Leserin wird Dir im Verlauf des Lesens sowieso
klar werden, daß Handlungen und Personen in Wirklichkeit auch überhaupt
nicht existent sein könnten.
Also - nachdem ich mich nun rein rechtlich
abgesichert habe und somit weiß, daß alles was ich zum Ausdruck, vielleicht
auch mal zum Abdruck bringen, bzw. freigeben werde - nicht gegen mich
verwandt werden kann, will ich nun doch endlich mit dem Anfang beginnen.
Das heißt - eigentlich tut so etwas ja jeder: mit dem
Anfang beginnen - und dabei handelt der Inhalt von Personen und Taten, die
halt doch gewissermaßen einmalig sind, einmalig, und nicht wie viele andere.
Also kann ich eigentlich auch nicht mit dem Anfang beginnen, schließlich bin
ich ja auch nicht wie alle anderen .- Nun gut, dann also irgendwo mitten
drin.
Und wenn ich nun also mitten drin anfange, werde ich
dann sicherlich teilweise vor, zurück, rechts, links, rauf, runter, manchmal
auch tiefer, tiefer, oh ja, manchmal werde ich auch ganz schön tiefer gehen.
"Wie oder wo tief?" fragst Du. Sehr interessant, kaum habe ich begonnen,
hast Du aus dem vielseitigen Angebot auch schon etwas heraus gesaugt:
Ja. Nun gut. Wie schreibt man nun eine Abhandlung aus
der vielleicht einmal eine Geschichte werden könnte, die das wiederum das
Leben geschrieben haben könnte. Wo und wann soll sie spielen? Wäre ich
Ganghofer, dann hätte ich eine Dame namens Resi und die Berge. So aber habe
ich Dich und ... Halt!
Vielleicht weil sie
Angst haben von einem Wilderer getroffen zu werden, bevor sie ein Reh oder
Wildschein treffen.
EIN BÜRGER AUS
LEUTKIRCH
DER GING AUF DIE
PIRSCH
ER WOLLTE JAGEN
HASEN PLAGEN
ERSCHOß EINEN
HIRSCH
DIE FRAU VON DEM
HIRSCH
DIE WAR DANACH GANZ
WIRSCH
NIE MEHR WIRD ER
SIE BEGATTEN
UND DABEI HATTEN
DER HIRSCH UND
SEINE FRAU
KLEINE HIRSCHE
GEPLANT
ARME SAU
DES HIRSCHEN FRAU
JETZT MUß SIE ES
MIT EINEM ANDER'N
TREIBEN
SIE WILL JA NICHT
EWIG
JUNGFRAU BLEIBEN
UND DIE MORAL VON
DER GESCHICHT'
SIE SEI DIR PFLICHT
DIE MORAL VON DER
GESCHICHT'
ERSCHIEß DEN MANN
EINER HIRSCHIN NICHT
Hallo Du,
Du wirst sicher nicht böse sein, wenn ich sogleich
auf dieser Seite mit meinem Brief fort fahre, ich sagte mit meinem Brief,
nicht mit Deinem Auto, und auf eine Inhaltsangabe der letzten verzichte? Ja?
Gut so!
Obwohl es sich nun um große Tannen und deren Kinder,
also die kleinen Tannen handelte, waren sie doch alle grün. Jetzt glaube
bitte nicht, ich würde sehr abschweifend werden; aber ich finde, Du solltest
Dich erinnern, bzw. wissen, daß alle Tannen grün waren. So wie auch übrigens
die umliegenden Wiesen grün waren wie auch der junge Weizen .
Unterschiedlich grün, aber immerhin doch grün.
Na gut.
Nur das kleine Reh, und das ist ganz wichtig, nur das
kleine Reh war nicht grün, höchstens noch hinter den Ohren, so wie ich
übrigens auch noch ziemlich grün bin hinter den Ohren.
Also das kleine Rehlein war nicht grün; sonst hätten
wir es ja auch gar nicht sehen können zwischen allen den grünen großen und
kleinen Tannen.
Gut, Du hast recht, ich will ehrlich sein: Es gab da
Ÿberhaupt gar kein Reh in diesem Wald, weder ein kleines noch ein großes
Reh; aber bei Ganghofer wäre eins dagewesen. Bei Ganghofer wäre eins da und
es wäre auch auch braun gewesen.
Also, mein Schatz, Du bist einverstanden, wenn wir
einfach so tun als wäre ein kleines braunes Rehlein dagewesen? Ja? Gut.
Danke. Das Reh war also da.
Nun ja,
als dieses reizvolle und zugleich liebenswerte Tierchen so am Fressen - die
Jäger sagen dazu "Äsen" - also während dieses Rehlein Nahrung zu sich nahm,
saßen wir, Du und ich, also wir beide, auf diesem Hochsitz.
Ich habe mich übrigens an zweiter Stelle genannt,
nicht nur weil ich kein Esel sein will (Esel nennen sich ja immer
zuerst und außerdem ...
Schade eigentlich, daß Du nicht warten konntest,
genau wie Jaroslava nicht warten konnte: als ich in's Schlafzimmer kam in
unserer Hochzeitsnacht, hatte sie ihr Brautkleid auch schon ausgezogen.
Schade eigentlich.
Ich hätte vielleicht lediglich schreiben sollen: "Wir
saßen auf dem Hochsitz." Na ja, ich mag halt meinen Schreibstil und außerdem
habe ich kürzlich, es war beim Sperrmüll, noch dieses alte Farbband
gefunden, das darf ja nicht umkommen.
So, da saßen wir also lange Zeit nichtssagend,
verzeih', nichts sagend auf unserem Hochsitz, der ja eigentlich nicht uns
sondern einem Förster gehörte.
Viel haben wir nicht gesagt, aber gespürt haben wir
uns. Du mich und ich Dich; also quasi wir uns beide. Es war fast so, wie es
die Schlagerleute wie Chris Anders oder Christian Roberts oder Karel Gildo
oder Rex Gott immer besingen. Ja, und dann hat es auf einmal geknallt. Zwei
Schüsse waren es. Nein, das Reh war
immer noch am fressen, der Knall, die Knalle, oder heißt es Knallers?
Na egal, sie kamen daher, weil uns das Blut in den Kopf geschossen war. Ich
werde nie vergessen, wie ich auf einmal seekrank geworden bin, weil das Blut
so in Wallungen geraten war. Ja und dann... ja und dann...?
hm ...
Und dann kam auf einmal die Angst! Meine Angst.
Fürchterlich. Nein, vor Dir hatte ich keine Angst, das wäre ja noch schöner:
vor mir selber bekam ich auf einmal Angst.
Weißt Du das nicht mehr? Aber Schatzilein, ich hatte
doch meine Zahnbürste vergessen, nicht dabei, und ich putze mir doch immer
die Zähne vorher. Vor was? Na na na.
Nun, jedenfalls hast Du mich ganz schšn komisch
angeschaut, wo lieb irgendwie, fast hätte ich befürchtet, Du wolltest einen
Kuß von mir. Aber - da habe ich wieder mal gemerkt, daß ich ein ganz schön
eingebildeter Fatzke sein kann.
Jedenfalls habe ich dann aber gemerkt, warum Du mich
so angesehen hast: Dir waren die Zigaretten ausgegangen. Du hast dann sogar
eine von meinen schwarzen ohne Filter geraucht. Das hat mich richtig
glücklich gemacht. Du... wird Dir die Geschichte etwa schon langweilig? Wart
halt noch a Bisserl. Das Beste kommt ja gleich. Es wird schon noch spannend.
Wie im Fernsehen bei Dallas, ne stop: das gab es zu unserer Zeit noch gar
nicht. Damals als wir noch jung und hübsch waren, Du bist übrigens immer
noch hübsch, ich hab Dich vorgestern zufällig gesehen mit diesem blöden
Ver-sicherungsfritzen.
Also gut, ich kürze es ein wenig ab.
Auf einmal warst Du richtig ängstlich. Du warst
ängstlich und ich war wieder mal in meinen verdammt noch mal viel zu engen
Jeans; scheiß Mode. Jedenfalls hast Du plötzlich auf mir drauf gehockt. Bist
halt ein emanzipiertes Mädchen, sonst habe ich das ja immer getan, ach so,
soweit sind wir ja noch nicht. Darf ich trotzdem mal kurz vorgreifen? Danke.
Also später habe ich ein paar Mal
auf Dir drauf liegen dürfen, richtig erketiv, nein
Verzeihung, ich wollte sagen: richtig irre war das! Nun ja, wo war
ich stehen geblieben? -
Also, daß ich als ich anfing, als ich Dir gesagt
habe, daß ich manchmal vor oder hinter mich greife in Bezug auf die
Reihenfolge, in Bezug auf die Abfolge meines Berichtes an Dich, habe ich Dir
ja schon mitgeteilt, ich glaube es war auf der ersten Seite. Wenn Du mal
bitte nachschauen würdest. Stimmt's? Wußte ich's doch. Nachdem ich eben nun
etwas vorgegriffen habe, schalte ich jetzt erst mal wieder den Rückwärtsgang
ein.
Wie gesagt: es war Sommer und ich hatte somit keine
Handschuhe an, glaube ich. Nein ich hatte keine an. Das war Dir auch lieber
so gelle? Vom Gefühl her und so. Kurz und gut: Du warst ganz schšn
glücklich. Sag mal: hat denn Dein Mann überhaupt nicht gelernt wie man sein
Frauchen glücklich machen kann, muß, auch ohne seinen dicken Schw...? Woher
ich weiß, daß er einen Dicken hat? Weiß ich doch gar nicht, ist mir nur so
raus gerutscht - geht mich ja auch gar nichts an.
Ja ja, schön
war es in Deinem kleinen blauen VW im Grünen Wald. - Auf dem Hochsitz gingen
solche Eskapaden natürlich nicht mehr. Nicht weil ich Angst hatte, wir
könnten runterfallen, nee, aber die Leute. Du weißt doch, wer hoch
sitzt...nein, fällt nicht tief... ja auch, aber das meine ich nicht.
Sie würde sich ja sicherlich freuen, weil sie kein
schlechtes Gewissen haben müßte. Aber er? Du meinst dann würden wir ja auch
ihn sehen. Ihn wie er mit ihr und so?
Glaube ich nicht, schließlich hatten wir doch ständig
die Augen geschlossen vor lauter
Verzückung. Beim Knutschen wenigstens und beim Spüren....
Na vielleicht hast Du recht. Vielleicht hat er ja
auch gar nicht auf dem Hochsitz gegenüber gesessen. Vielleicht war ja auch
zu Hause mit ihre in Eurem Schlafzimmer.
Schatz, gerade fällt mir der Biergarten ein: weißt
Du, so ein Garten, wo die Leute immer Bier trinken, jedenfalls schön war's ,
fast wie bei meinem Chef zu Hause. Du erinnerst Dich, daß ich mal bei ihm
gewohnt habe. Dein Auto, Du weißt schon, Dein himmelblauer Käfer, er war
immer in der Garage versteckt. Da stand zwar noch 'ne alte Isetta, aber so
war Dein Käfer, Dein himmelblaues Käferchen wenigstens nicht so einsam. Sah
ja auch noch verdammt gut aus das alte Isettachen. Ja und da war dann noch
mein Wohnklo. Wohnklo mit Matratzenbett, wie in einem alten Maffiafilm.
Oder weißt Du noch, wie alles angefangen hat?
Tischtennis-Turnier im Garten, Schwimmbad im Keller,
Deine Gören, verzeih: Kinder, versteckte Blicke... Du... ich hab' Dich immer
noch verdammt lieb; obwohl das jetzt schon wieder über fünf Jahre her ist...
Wie die Zeit verfliegt.
Melde Dich doch mal wieder. Na ja, tust Du ja doch
nicht. Hole ich halt die Fotos wieder raus, ne ne sonst hol ich nüscht
raus... so was tut ein anständig erzogener Mensch doch nicht.
Wo ich die Fotos rausnehmen will? Aus meiner Brief-tasche...
War 'ne dufte Zeit mit Dir, ehrlich. Habe so etwas
nie wieder erlebt. Bin übrigens immer noch allein. Werd's auch bleiben...is
besser so.
Schließlich sind wir irgendwann wieder runter von
ihm. Ich zuerst. Nein! Nicht weil ich Dir unter den Rock gucken wollte.
Bitte? Stimmt! Du hattest ja Hosen an. Blödsinn außerdem. Jedenfalls beim
Runtergeh'n habe mir ganz schön die Knie gewackelt, wie als wenn ich Pudding
in ihnen gehabt hätte. Hoffentlich war es Dr. Oetkers Schokoladenpudding,
den mochte ich schon als Kind am liebsten.
Hm... mein Schatz.
Mit diesem Versicherungsfritzen. Beschissen hast Du
ausgesehen. Reden mit Dir? Unmöglich! Erstens war es viel zu laut in diesem
Saftladen und zweitens... na is ja auch egal.
Reden war unmöglich, Gefühl
auch. Du warst tot, ich war tot, wir waren beide tot, unsere
Verliebtheit war auch tot ... es hat uns nie gegeben.
So, damit Du nun nicht so weit zurückblättern mußt,
im folgenden noch einmal das, was auf der ersten Seite steht:
Es hatte uns nie gegeben oder: es hätte uns nie geben
dürfen, denn Dein Mann war mein Freund. Entschuldige Alf.
Illusion ?
Wirklichkeit ?
Einbildung ?
Halluzination ?
oder doch gescheh'n
?
wenn ja - warum ?
liegt's an mir
an dir
am LIEBEN GOTT ?
oder ist es gut
gut, daß es nicht
weitergeht ?
P.S.: Diesen Brief habe ich Chris ürigens nie
geschickt. Schade eigentlich - oder?